
Chinesische Medizin vor 500 Jahren
Am Sonntag, 9. Juli, um 11 Uhr lädt die „Gesellschaft der Freunde und Förderer des Deutschen Medizinhistorischen Museums“ anlässlich ihres Jahrestags zum öffentlichen Festvortrag in den Barocksaal des Stadtmuseums ein. Als Referent konnte der Medizinhistoriker Professor Paul U. Unschuld gewonnen werden, ein international renommierter Kenner der chinesischen Medizingeschichte. Er spricht zu dem Thema „Ben cao gang mu – Enzyklopädie der Natur- und Arzneikunde von 1593. Aussagekräftiges Beispiel chinesischer Wissensdynamik“. Der Vortrag dauert etwa 45 Minuten, es ist keine Anmeldung nötig.
Im Jahre 1593 wurde in China die seinerzeit weltweit umfangreichste Enzyklopädie der Natur- und Heilkunde unter dem Titel Ben cao gang mu veröffentlicht. Der Autor Li Shizhen (1518-1593) wirkte als gelehrter Arzt und vereinte in 52 Kapiteln Textauszüge aus Schriften der vergangen 1800 Jahre mit solchen Erkenntnissen, die er selbst auf landesweiten Reisen erworben hatte. Die mehr als 1900 Monographien über pflanzliche, mineralische, tierische und menschgemachte Substanzen sind nicht nur ein einzigartiges Zeugnis der steten Erweiterung und Deutung natur- und heilkundlichen Wissens im Lauf der Geschichte Chinas. Sie verweisen darüber hinaus auf zahlreiche Facetten chinesischer antiker Kultur, die z. T. auch heute noch erkennbar sind.
Der Sinologe, Pharmazeut und Medizinhistoriker Paul U. Unschuld hat dieser Enzyklopädie in englischer Sprache herausgegeben und kommentiert. Das zehnbändige Werk bietet den Ausgangspunkt für mannigfaltige Forschungen. Nicht zuletzt wird am Ben cao gang mu auch die Vielfalt der historischen Chinesischen Medizin sichtbar, die heute in der so genannten Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) als ein an moderne Sichtweisen angepasstes, reduziertes Konstrukt eine weite Verbreitung gefunden hat.
Der Vortrag zeigt den Ort der Enzyklopädie in der langen Geschichte chinesischer Arzneibuchliteratur auf, erläutert die noch heute faszinierende Struktur des Gesamtwerks, spricht die Schwierigkeiten einer Übersetzung in eine heutige Sprache an und verweist auf Inhalte, die in der heutigen TCM nicht mehr berücksichtigt werden.
Zum Referenten:
Paul U. Unschuld studierte Pharmazie, Sinologie und Politische Wissenschaften in München und Public Health an der School of Hygiene and Public Health der Johns Hopkins Universität in Baltimore. Er ist habilitiert in Sinologie, Geschichte der Pharmazie und Geschichte der Medizin. 1984 erhielt er einen Ruf an die LMU in München, wo er von 1986 bis 2006 als Nachfolger von Heinz Goerke Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin war. 2006 folgte er einem Ruf an die Charité-Universitätsmedizin Berlin als Direktor des von ihm gegründeten Instituts für Chinesische Lebenswissenschaften, dessen Leitung er bis heute innehat. Im Zentrum seiner wissenschaftlichen Tätigkeit steht die Ideengeschichte der Medizin Chinas im Vergleich mit Europa und die philologische Übersetzung der antiken Klassiker der chinesischen Medizin. Seit 1978 hat Professor Unschuld gesundheits- und wissenschaftspolitische Delegationen der Bundesregierung als Berater begleitet; 2018 im Rahmen der letzten Kabinettsreise der Bundeskanzlerin Merkel nach China.
