Am Dienstag, 23. August, um 17 Uhr wird vor dem Haus Ziegelbräustraße 2 ein Gedenkschild für die jüdische Familie Sonn übergeben sowie, nach einem Ortswechsel, ein weiteres Schild vor dem Haus Donaustraße 6 für die jüdische Familie Hermann. Beide Familien hatten bis 1938 viele Jahre in Ingolstadt gelebt.
Die Schilder sind das Ergebnis einer Kooperation des Projekts „Opfer des Nationalsozialismus in Ingolstadt“, des Stadtarchivs und des Reuchlin-Gymnasiums.
Bereits im Herbst 2019 begann ein P-Seminar des Reuchlin-Gymnasiums unter Leitung des Lehrers Markus Schirmer mit der Forschung nach den Schicksalen ehemaliger jüdischer Schüler ihrer Schule. Dabei standen sie auch im Kontakt mit Angehörigen der Familien. Es entstand eine Ausstellung, eine dauerhafte Erinnerungstafel im Schulgebäude sowie ein Rundgangkonzept zu den ehemaligen Wohnorten der jüdischen Schülerfamilien.
Als weitere Würdigung dieser Opfer des Nationalsozialismus wurden zwei öffentliche Gedenkschilder entwickelt. Sie zeigen Porträts der Betroffenen und geben Auskunft über ihr jeweiliges Verfolgungsschicksal. Damit wird auch dem Wunsch der Angehörigen nach einer öffentlichen Würdigung entsprochen. Die Gedenkschilder werden an den ehemaligen Wohnorten der Familien temporär an den Masten von Verkehrsschildern installiert.
Bürgermeisterin Dr. Dorothea Deneke-Stoll wird die Schilder übergeben und ein Grußwort sprechen. Die Schülerin Lauren Auf dem Berge (Klasse 9b, Reuchlin-Gymnasium) wird in die Biografien der Familien Sonn und Hermann einführen. Dabei findet ein Ortswechsel an die Donaustraße 6 statt. Bei schlechtem Wetter (Dauerregen/Gewitter) findet die Veranstaltung im Barocksaal des Zentrums Stadtgeschichte im Kavalier Hepp, Auf der Schanz 45, statt.
Biographie Familie Sonn:
Samson Sonn und seine Gattin Henriette, geb. Adler, wurden beide im Jahr 1870 in Unterfranken geboren und lebten seit 1900 in Ingolstadt. Zwischen 1910 und 1938 führten sie eine Woll- und Kurzwarenhandlung im Erdgeschoss der Ziegelbräustraße 2. Die Familie wohnte im zweiten Stock dieses Hauses. Bei ihnen lebte auch Klara Adler, die Schwester von Henriette Sonn.
Am 18. Mai 1907 wurde der Sohn Max in Ingolstadt geboren. Er besuchte von 1917 bis 1926 das Humanistische Gymnasium Ingolstadt (heute Reuchlin-Gymnasium). Nach seinem Abschluss begann er ein Jura-Studium mit anschließender Promotion in Bonn und München. Wegen der antisemitischen Politik der Nationalsozialisten konnte er jedoch nie als Anwalt tätig werden.
Auch die Familie in Ingolstadt war zunehmender Anfeindung ausgesetzt. Während der Novemberpogrome am 10. November 1938 wurde die Familie Sonn aus Ingolstadt vertrieben. Das Ehepaar und die Schwester fanden zunächst bei Freunden in München Zuflucht. Am 3. Juli 1942 wurde das Ehepaar Sonn ins Ghetto Theresienstadt deportiert und am 19. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Klara Adler wurde am 30. September 1943 im Ghetto Theresienstadt ermordet.
Max Sonn gelang bereits 1938 die Flucht nach England. Dort wurde er zunächst als „Enemy Alien“ auf der Isle of Man interniert. Später arbeitete er als Verwaltungsangestellter in einer Fabrik in Newcastle. 1940 heiratete er „Loni“ Babette Gutmann aus München in Manchester. Die Familie ging später zurück nach Newcastle, wo Max Sonn im Jahr 1993 verstarb. Das Paar hatte zwei Kinder: Michael (*1944) und Helen (*1946). Mit diesen beiden konnten die Schülerinnen und Schüler des Reuchlin-Gymnasiums im Zuge ihrer Recherchen Kontakt aufnehmen. So konnte das Schicksal der Familie Sonn aufgearbeitet werden. Die Aufnahmen auf den Gedenkschildern stammen aus Familienbesitz.
Biographie Familie Hermann:
Die Familie Hermann lebte seit 1910 in Ingolstadt. Julius Hermann wurde am 27. April 1878 in Stettin geboren. Seine Gattin Sophie Hermann, geb. Klein am 2. April 1884 in Berlin. Gemeinsam bekamen sie drei Kinder: Gerda Hermann wurde 1909 mit Multiple Sklerose in Berlin geboren. Kurt im Jahr 1913 in München. Die jüngste Schwester Käte kam 1916 in Ingolstadt auf die Welt. Julius Hermann war Kaufmann und führte das Bekleidungsgeschäft Klein der Schwiegereltern weiter. Bis 1917 war das Ladengeschäft Am Stein 2 und zog dann um in die Donaustraße 6. Die Familie lebte über dem Geschäft im zweiten Stock.
Kurt Hermann besuchte von 1924 bis 1929 das Humanistische Gymnasium. Er absolvierte eine Ausbildung zum Dekorateur und Fotograf. Im Juli 1938 heiratete er in München Getrud Bickart.
Noch vor den Novemberpogromen versuchte die Familie Hermann das nationalsozialistische Deutschland zu verlassen. Die Eltern Julius und Sophie sowie die Tochter Gerda zogen 1938 nach München und gelangten an Passagierkarten für das Schiff „St. Louis“ nach Kuba. Dort wurden sie trotz Transit-Visum nicht von Bord gelassen. Mit ihnen erlitten 900 weitere jüdische Flüchtlinge dieses Schicksal. Viele wurden Opfer des Holocaust. Julius Hermann verstarb im August 1941 nach einem Luftangriff in Brüssel. Sophie Hermann wurde gemeinsam mit ihrer Tochter Gerda im Juli 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Nur die Geschwister Kurt und Käte überlebten. Ihnen gelang 1938 die Flucht über Kuba in die USA. Käte ließ sich in New York nieder.
Kurt gründete in Florida ein Fotogeschäft. Er verstarb am 25. Dezember 1980 in Pensacola, Florida. Er und seine Frau Gertrud bekamen zwei Kinder: Charlotte (*1942) und Ron (*1945). Mit diesen beiden konnten die Schülerinnen und Schüler des Reuchlin-Gymnasiums im Zuge ihrer Recherchen Kontakt aufnehmen. So konnte das Schicksal der Familie Sonn aufgearbeitet werden.
Die Aufnahmen auf den Gedenkschildern stammen aus Familienbesitz. Charlotte Janis, geb. Hermann, wird Anfang September zum wiederholten Male Ingolstadt besuchen. Dabei wird sie unter anderem das Gedenkschild für ihre Familie sowie die ehemalige Schule ihres Vaters besichtigen. Bei einer öffentlichen Veranstaltung im Barocksaal des Zentrum Stadtgeschichte, Auf der Schanz 45, wird sie über das Schicksal ihrer Familie sprechen. (si)