Heuer geht es in den Faschingshochburgen coronabedingt ruhiger zu. Und doch zeichnet sich ab, dass die Triebkraft des Faschings bzw. der Fastnacht enorm ist, denn allerorten ist die Enttäuschung über die erneute Absage der fünften Jahreszeit riesengroß. Sie übt auf Erwachsene wie auch auf Kinder eine Faszination aus wie wohl keine andere Jahreszeit. Und dies nicht erst in der Neuzeit!
Fasching war früher ein christliches Fest und beschreibt die Fastnacht, die Nacht vor dem Beginn der Fastenzeit am Aschermittwoch. Seit dem 13. Jahrhundert erstreckt sich die Hochzeit im Karneval auf den Zeitraum von Weiberfastnacht bis zum Faschingsdienstag, manchen Ortes auch Veilchendienstag genannt.
Der Karneval wird sehr unterschiedlich zelebriert: Karnevalsumzüge, Masken, Musik und das Verkleiden spielen eine Rolle. Eine ganz eigenständige Vitalität entwickelte der Karneval in Lateinamerika, etwa beim Karneval von Oruro oder dem Karneval in Rio. Weltbekannt ist auch der Karneval in Venedig mit seinen kunstvollen Masken und rauschenden Bällen.
Fasching oder Karneval?
Faschingshochburgen gibt es im gesamten Bundesgebiet einige. Deshalb kann man den Fasching auch nicht regional beschränken. In NRW gehören Köln, Düsseldorf und Aachen zu den Zentren des karnevalistischen Treibens und wer kennt nicht die Mainzer Fassenacht oder die schwäbisch-alemannische Fastnacht, wie sie im südwestdeutschen Raum und Teilen der Nordost- und Zentralschweiz bezeichnet wird.
Doch wer hätte gedacht, dass der Begriff Fastnacht seinen etymologischen und historischen Ursprung in einem kleinen verträumten bayerischen Marktflecken im Herzen Bayerns, genauer gesagt in Dollnstein hat?

An einer vermutlich um 1206 entstandenen Stelle im „Parzival“ des Wolfram von Eschenbach heißt es nämlich, dass „diu koufwip zu Tolenstein an der vasnaht nie baz gestriten“ hätten. Es war zu Beginn des 13. Jahrhunderts schon üblich, dass publikumswirksame Wettbewerbe inszeniert wurden; in diesem besonderen Fall handelte es sich wohl um eine Art Kampfspiel, das Frauen aus der Kaufmannschaft austrugen und das wohl recht groteske Formen hatte.
Die Fastnachtsforschung kennt keinen älteren Nachweis als diese Stelle aus Eschenbachs Epochalwerk.1 Die Marktgemeinde Dollnstein reklamiert deshalb für sich, Wiege des deutschen Karnevals im Allgemeinen und der Weiberfastnacht im Besonderen zu sein. So ist es auf vielen Internetportalen, die sich mit der Historie der Fasenacht beschäftigen, zu lesen.
Wolfram und seine Spuren in Dollnstein in der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart
In Dollnstein selbst gibt es seit 30 Jahren eifrige Nachfahren der berühmten „koufwip“. Aus Anlass der 600. Jahrestages der Verleihung des Marktrechts an Dollnstein durch König Wenzel an Friedrich von Heideck gründeten sich die Marktfrauen.
Zum ersten Mal traten die Dollnsteiner Markfrauen beim Festakt in der Schule in historischen Gewändern in Erscheinung. Die damalige Lehrerin und spätere Kreis- und Gemeinderätin Johanna Bittl hatte im Bayerischen Staatsarchiv nach Zeichnungen geforscht, aber keinen Anhaltspunkt entdeckt, wie die Gewänder auszusehen hatten. In der Universitätsbibliothek Eichstätt stieß sie auf die Beschreibung des Gewands der Marktfrauen. Nach diesen Angaben entwarf Christine Biber die Tracht. Vierzig Dollnsteinerinnen machten bei den Marktfrauen mit und schneiderten ihre Kostüme selbst.
In den Folgejahren sind sie es die Dollnsteiner Markfrauen, die immer wieder in Erscheinung treten, zum Beispiel bei historischen Markttagen die von den Marktfrauen in Eigenregie ausgerichtet wurden, oder auch beim Burgfest. Bis zum heutigen Tag sind die über die Grenzen Dollnsteins hinaus bekannten Markfrauen Markenzeichen und Botschafter ihrer Heimatgemeinde.
Bereits seit 1977 stürmen die Dollnsteiner Weiber auf Geheiß von Bürgermeister Karl Wagner, der damals die Stelle aus dem Parzifal bereits kannte, die Gemeinderatssitzung am Mittwoch in der Faschingswoche und übernehmen die Regentschaft. Dieser Brauch ist bis heute sehr lebendig.
Vor 25 Jahren wurde der Marktfrauenbrunnen am Tafernplatz in Dollnstein seiner Bestimmung übergeben. Am 3.März 1992 wurde der Brunnen am Namenstag der Hl. Kunigunde eingeweiht und in Anlehnung an seinen Schöpfer und seine Patronin auf den Namen Karolina Kunigunde getauft. Seitdem ist es Tradition und Sitte, dass jeweils am Faschingsdienstag der Brunnen zum Anlaufpunkt für die Dollnsteiner Marktfrauen wird. Eine Obermarktfrau, seit jüngstem Petra Strasser, steigt dabei in den Brunnen, parodiert dabei das Geschehen in der Gemeinde, da sie so manche gemeindliche Episode zu berichten weiß.
In den Jahren 2006 aus Anlass der wohl 800. Wiederkehr des Eschenbach-Zitats gab es gar ein eigenes Fastnachtsspiel mit dem vielsagenden Titel „Die lustigen Weiber von Tollunstein“.
Rollenwechsel
Dass die Frauen die Herrschaft übernehmen – im mittelalterlichen Feudalsystem eigentlich unvorstellbar – mutet seltsam an. Als Vorläufer dieser verkehrten Welt darf in der Antike die Zeit der „Saturnalien“ bezeichnet werden, die an eine goldene Zeit ohne Knechtschaft erinnerten. Herren und Sklaven tauschten die Kleidung – und ihre Rollen. Statt in der Toga trat man in der Öffentlichkeit im Hauskleid auf, während die Sklaven in einer weißen oder purpurfarbenen Toga durch die Straßen zogen. Und durften nur an besagten Tagen spitz zulaufende Hüte tragen, die später zur Kopfbedeckung der Clowns wurden. Dieser Rollenwechsel ist auch heutzutage in der für viele Menschen faszinierenden und elektrisierende Jahreszeit immer wieder symptomatisch
In den vielfältigen, regional ausgeprägten Bräuchen stößt man dabei immer wieder auf die zentrale Figur alles Fastnachtsbräuche: den Narren! Er hat einen entscheidenden Einfluss auf die heutige Ausprägung der Fastnacht, denn er erlaubt es, für begrenzte Zeit in eine verkehrte Welt zu entschwinden und wieder zurückzukehren. In der kurzen, intensiven Zeit der Kostümierung scheinen soziale Schranken und zwischenmenschliche Distanzen leicht aufgehoben werden zu können, denn Gestik, Sprache und Kleidung sind nicht als Ausdruck sozialer Herkunft oder Intelligenz zu erkennen.
Ein Beispiel ist das Bild von Peter Bruegel d. Älteren „Kampf zwischen Fastnacht und Fasten“, in dem der Kontrast zwischen der üppig-ausschweifenden Welt des Karnevals und der sich anschließenden darbenden Fastenzeit dargestellt ist. Es zeigt in eindrucksvoller Weise die lustvolle Welt des feisten „Junker Karneval“ sowie die Kargheit der „Frau Fasten“.
Faschingsbräuche regional und global
In der Fastnachtszeit spielt das Brauchtum eine sehr große Rolle. An vielen Orten findet der vorchristliche Brauch des Winteraustreibens statt.
Mit furchteinflößendem, meist historischen Holzmasken soll nicht nur dem Betrachter Angst und Schrecken eingejagt werden. Mit viel Geschrei und Lärm sollen der Winter, den man sich personifiziert vorstellt, aber auch die üblen Gedanken des alten Jahres, all die traurigen und angsterzeugenden Erlebnisse für immer und ewig vertrieben werden. Auch hier gibt es in Dollnstein einen alten Brauch, wenn die sogenannten Linker-Rechter – schaurige und ruhige Gestalten zugleich- am Faschingssonntag durch die Straßen ziehen und die Kinder mit ihrem Schlachtruf „Linker-Rechter, Saubua schlechter“ anfeuern, damit sie möglichst viele Süßigkeiten einheimsen können.
Doch im Herzen von Bayern, in Kipfenberg, offenbart sich eine der schillerndsten und prächtigsten Fastnachtsfiguren im deutschsprachigen Raum: der Fasenickl, der sich durch seine äußerst aufwändige Kostümierung und seine ausgeprägten Brauchrituale, wie dem Schnalzen und Faseln, seit der Barockzeit eine Art Alleinstellungsmerkmal als zentrale Figur der fränkischen Fastnacht geschaffen hat. Auf historischen Quellen basierend verbreitete sich der Fasenicklgestalt mit seinen leicht dämonisierenden, gleichwohl ästhetisch überaus schönen Holzmasken, die individuell aus einem Lindenholzblock glattlarvig herausgeschnitzt und gefasst sind, weit über die Grenzen Kipfenbergs hinaus.
Sehr zeitintensiv sind die Produktionen der Nickelkostüme, die ab 1960 wieder nach alten Vorlagen hergestellt wurden, denn auf den ungezierten Rupfen werden ca. 7000 rote Filzrauten aufgenäht. Auf der Kopfhaube (Gugel), an der die Maske eingenäht ist, sitzt der kunstvolle Schellenbaum (Scheberer) mit den bunten Bändern und dem Hahnenfederbusch. Die Goaßl, eine kurzstielige Peitsche mit der langen, gedrehten „Schnur“ ist das Markenzeichen des Fasenickls, der seine Mitbürger ängstigt und belustigt zugleich und Ihnen dabei oftmals Rätsel aufgibt. Das Schnalzen mit seinen durchdringenden und wirkungsvollen Knalleffekten ist weithin hörbar. Auch hier werden Kinder, die laut den Fastnachtsruf „Gö-sucht“, „Gö-sucht“ rufen, werden von den Fasenickeln mit Brezen und Guatln beschenkt.
Im Kipfenberger Torwärterhaus, dessen älteste Bausubstanz aus dem Mittelalter stammt, hat der Kulturverein „Die Fasenickl“ der Fastnachtsfigur in einem musealen Kleinod ein Denkmal gesetzt. Der Kulturverein hat es sich zur Aufgabe gemacht, einmal die noch existierenden historischen Gewänder zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, zum anderen den Brauch des Fasenickllaufens auch außerhalb der Fastnachtszeit darzustellen. (em)
Kurz notiert:
Kulturverein „Die Fasenickl“
Kipfenberg
www.fasenickl.de
Fotos Dollnstein: Edgar Mayer
Fotos Fasenickl: Fasenicklverein Kipfenberg
1 Vgl. Mezger, Werner; Narrenidee und Fastnachtsbrauch (1991)