Ein U-Boot, auf dem Audi draufsteht? Ist da ein Stück Firmengeschichte bisher im Dunklen geblieben? Oder hat das museum mobile einen Science Fiction Film ausgestattet? Zugegeben: Das maßstabsgetreue Modell des Audi Typ C Jaray aus dem Jahr 1923 ist ein derart ungewöhnlicher Anblick, dass es einen staunen lässt. Und wenn auf den schwarzweißen Fotografien die (einzigen) drei Exemplare dieses Automobils am Brandenburger Tor vorbei fahren sieht, dann hat das schon etwas von einer Landung der Außerirdischen. Dieser Nachbau ist nicht das einzige „sonderbare“ Gefährt, das die Sonderausstellung „Windschnittig? Aerodynamische Konzepte im Automobilbau bis 1945“ im Audi museum mobile vorzuweisen hat. Ein „Rumpler-Tropfen-Auto“ begegnet einem hier genauso wie ein hässliches Entlein oder ein „Tropfen-Motorrad“ und dass ein Freiherr Reinhard von Koenig-Fachsenfeld zu den Pionieren der Aerodynamik zählt, klingt auch irgendwie märchenhaft. Aber all die spannenden Geschichten um ein wenig beleuchtetes Kapitel der Automobilgeschichte sind wahr.
An Jaray kommt man nicht vorbei
Einer der großen Tüftler, der sich neben Edmund Rumpler und Reinhard von Koenig-Fachsenfeld um das Thema Aerodynamik in der Fahrzeugentwicklung verdient gemacht hat, war Paul Jaray. Er gilt als Erfinder der Stromlinie und ihm ist besagtes „U-Boot“ zu verdanken, das im Original nicht mehr existiert und das der Ausgangspunkt für die Idee einer Aerodynamik-Ausstellung war. „Vor hundert Jahren war dieser Wagen mit einem Audi Chassis und einer Karosserie von Gläser aus Dresden gefertigt worden. Das war sofort Thema bei uns. Ein faszinierendes Auto, skurril, extrem. Sowas müsste man haben,“ erklärt Randy Kämpf vom August Horch Museum in Zwickau. Die Kooperation mit der Hochschule in Zwickau machte es schließlich möglich, ein Schaumstoffmodell im Maßstab 1:1 zu realisieren. „Die Ausstellung haben wir dann drumherum entwickelt.“ In diesem Zuge wurde auch noch ein Stück Automobilgeschichte korrigiert: „Bislang waren die Experten davon ausgegangen, dass dieses Auto von Paul Jaray seinerzeit auf einem Audi Typ K aufgebaut wurde. Während der Vorbereitung zur Sonderschau hat das Ausstellungsteam bei seinen Recherchen nachgewiesen, dass die Basis dieses Fahrzeugs ein Audi Typ C gewesen sein muss,“ betont Stefan Felber.

Der Name Jaray taucht in der Schau immer wieder auf – seine Entwicklungen waren bahnbrechend, aber für ihn kommerziell erfolglos. Den Audi Typ C Jaray mit seinem niedrigen Luftwiderstand wollte niemand in Serie herstellen. „Das Problem war die Mode. So ein Auto war nicht an den Mann zu bringen. Jaray war ähnlich wie August Horch ein brillanter Ingenieur und genialer Techniker. Aber er war kein guter Geschäftsmann,“ so Felber. Paul Jaray machte trotzdem weiter und präsentierte 1934 den Audi Front UW Jaray Stromlinienwagen. Auch der war wieder wegweisend, aber: „Schön ist er nicht. Der Wagen hat bei uns intern auch den Namen ugly duck, also hässliches Entlein,“ erklärt Randy Kämpf. Über Geschmack lässt sich bekanntlich intensiv diskutieren, daher empfiehlt es sich, dieses einzigartige Automobil im museum mobile selbst unter die Lupe zu nehmen. Es ist nicht die einzige Überraschung, die da auf Besucherinnen und Besucher wartet, etwa der Schlörwagen (um 1938), der bis heute mit einem cW-Wert von 0,186 unerreicht ist.
Gebaut, um Rekorde zu brechen
Bei Stromlinie denkt der Motorsportfan natürlich sofort an die legendären Rennwagen der 1930er Jahre. Den Technikern der Auto Union AG gelingt es, einen Vollstromlinienwagen auf Basis des Union Ty C zu entwickeln. Der feiert 1937 auf der AVUS seine Premiere und stellt zahlreiche Geschwindigkeitsrekorde von über 400 km/h auf – so sieht Aerodynamik in Bestform aus. Dabei begann das Streben nach dem windschnittigsten Rennfahrzeug mit dem Motorrad und skurrilen Versuchen mit aerodynamischen Helmen und keilförmigen Hinterteil-Aufsätzen – auch hier darf gestaunt werden.
Eine Ingolstadt-Zwickau-Koproduktion
Die Sonderausstellung ist eine Gemeinschaftsproduktion des August Horch Museums Zwickau und des Audi museum mobile in Ingolstadt. Sie ist auch in zwei Kapitel eingeteilt. Wer wissen will, wie die Entwicklung in der Aerodynamik nach 1945 weitergeht, kann ab 1. Dezember im August Horch Museum Zwickau in die Nachkriegsgeschichte der Aerodynamik eintauchen. Die Museumsgäste erwarten in der dortigen Nachfolgeausstellung „Form vollendet“ fast zwei Dutzend Großexponate und weitere Modelle. Thomas Stebich, sowohl für das Audi museum mobile als auch für das August Horch Museum verantwortlich, betont: „In unserer zweiteiligen Ausstellungsreihe zeigen wir in den beiden Museen das Thema Aerodynamik erstmals in einer Komplettübersicht von den Anfängen bis in die Gegenwart.“ Ab Juli 2024 ist der zweite Ausstellungsteil „Form vollendet“ dann im Audi museum mobile Ingolstadt zu sehen.

Übrigens: Vorbild für die frühen Aerodynamiker und ihre Berechnungen waren die Lebewesen, die sich in Luft und Wasser am besten fortbewegen können. Das aerodynamischte Tier auf Erden ist der Pinguin mit einem cW-Wert von 0,03. Zum Vergleich: Der aufrecht stehende Mensch hat einen Wert von 0,78. Der Audi Typ C Jaray liegt bei ca. 0,3 – 0.36. (ma)
Kurz notiert:
Windschnittig?
Aerodynamische Konzepte im Automobilbau bis 1945
bis 9. Juni 2024
museum mobile
Audi Forum Ingolstadt
Auto-Union-Straße 1
85045 Ingolstadt