Sensation im Dom? Mögliche Glasmalerei von Hans Holbein

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    Eine Gruppe hochkarätiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler trifft sich mitten im Ferienmonat August im Mortuarium des Eichstätter Doms. Auf dem Leuchttisch liegen zwei große bunte Glasscheiben, die ansonsten die Fenster des Mortuariums schmücken und eine wichtige Station bei jeder Domführung bilden. Die Wissenschaftler beugen sich über die Glasmalereien, schauen ins Mikroskop, machen Fotos und diskutieren miteinander. Es gibt wohl neue Erkenntnisse zu den Fenstern, zumindest eine Arbeitshypothese.

    Ausgebaut sind einige Felder der „Schutzmantelmadonna“, die sich nahe dem mindestens genauso berühmten Glasfenster des Jüngsten Gerichtes befindet. Das Schutzmantelfenster wird auf das Jahr 1502 datiert. Hans Holbein der Ältere (ca. 1465 – 1524), der damals in Augsburg lebte und wirkte, wird als Künstler genannt. Wobei das aufgrund der Technik nur die halbe Wahrheit ist: Der Künstler, hier der Senior einer berühmten Malerfamilie, zu der auch sein Bruder Sigmund sowie seine Söhne Ambrosius und Hans Holbein der Jüngere gehörten, fertigt den Entwurf an. Die Ausführung übernimmt er nicht selbst, sondern der Glasmaler. Hier kommt die Werkstatt des Gumpold Giltlinger ins Spiel, einem größeren, zwischen 1480 und 1520 sehr angesehenen Malerbetrieb in Augsburg. Giltlinger stellt Glas- und Tafelmalereien her. Unter letzteren versteht man Gemälde auf festen, flachen Gegenständen, beispielsweise Tafeln aus Holz. Es ist zwar nicht hundertprozentig belegt, dass Giltlinger die Eichstätter Glasmalereien ausführte, gilt jedoch als sehr wahrscheinlich.

    Wobei man sich bei der Glasmalerei vorstellen muss, dass die einzige zur Verfügung stehende Farbe das sogenannte Schwarzlot war, mit dem man auf farbigem Glas die schwarzen Konturen und die Binnenzeichnung ausführen konnte Das Ganze wurde dann bei 600 Grad eingebrannt und dadurch fixiert. Auch wenn die künstlerische Feinheit schon sehr weit fortgeschritten war, konnte doch auf diese Weise nicht so fein gearbeitet werden, wie bei der Tafelmalerei.

    Nun fällt jedoch auf, dass bei den Eichstätter Glasfenstern Holbeins, insbesondere bei der „Schutzmantelmadonna“, einige Gesichter eine derart überragende Qualität aufweisen, dass klar ist: Das kann nicht durch Glasmalerei alleine bewerkstelligt worden sein. Und noch mehr: Die Gesichter zeigen eine derart charakteristische Gestaltung, dass auch diesbezüglich an den als begnadeten Portraitzeichner bekannten Hans Holbein gedacht werden muss. Auch befindet sich an einer dieser Personen zwei Mal der Namenszug  von Holbein. Jetzt lohnt es sich näher hinzusehen: Tatsächlich befindet sich auf den Bildern eine hauchdünne Schicht, die nicht vom Glas herkommt und die auch nicht auf Schwarzlot zurückgeführt werden kann. Bei früheren Restaurierungsversuchen hatte man teilweise noch versucht, diese Schicht als vermeintliche Patina wegzuputzen. Heute weiß man: Das ist sogenannte Kaltmalerei. Also nach dem Brennen des Glases mit einem Pinsel feinst aufgetragene Farbe.

    Dr. Stephanie Dietz entnimmt Proben der Kaltfarben um sie im Labor zu untersuchen. Dietz ist Mitarbeiterin im Archäometrischen Labor der staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Ihr Titel der Dissertation trägt den Titel: „Malen mit Glas – Studien zur Maltechnik von Hans Holbein d.Ä.“ Links Dr. Daniel Parello, Leiter des Forschungszentrums für mittelalterliche Glasmalerie in Freiburg. In der Mitte die auf die Restaurierung und Konservierung von historischer Glasmalerei spezialisierte Restauratorin Martha Hör. Foto: Norbert Staudt/pde

    Nun ist bekannt, dass der berühmte Augsburger Hans Holbein  und die ausführende Werkstatt des Gumpold Giltlinger eng zusammen arbeiteten. Doch aufgrund der Qualität in der Gestaltung der Portraits wird jetzt eine Arbeitshypothese geboren: Hat Hans Holbein selbst Hand angelegt und die Glasfenster, vor allem das Bild mit der Schutzmantelmadonna, persönlich vollendet? Dieser These gehen die Wissenschaftler jetzt nach. Für die Forschung über Hans Holbein wird klar: Das Interesse des Künstlers an einer detailreichen und ausdrucksstarken Darstellung des menschlichen Portrait ist von vielen seiner Tafelbilder bekannt. Bei der Glasmalerei könnten die Eichstätter Fenster das erste und vielleicht einzige bekannte Mal sein, bei der diese Technik in derartigem Umfang zum Einsatz kam.

    Nun sind es jedoch nicht alle Figuren des Bildes, die auf diese aufwendige Art gestaltet sind. Zumindest eine Person ist eindeutig identifizierbar. Es ist der Stifter des Fensters, der hier auf so überragende Weise verewigt werden sollte oder wollte. Die Inschrift verweist auf „WILHELMVS DE RECHBERG CANONICVS ET CVSTOS EYSTETTENSIS AN(N)O 1502“, also Wilhelm von Rechberg, Domherr – heute würde man sagen Domkapitular – und Kustos, also für den Dom zuständiger Hausherr. Er verstarb am 3. Oktober 1503, also bereits im darauffolgenden Jahr. Ob er sich durch diese großzügige Stiftung – wie damals üblich – das Seelenheil verdienen wollte, ist möglicherweise eine Unterstellung. Sie würde aber in die Zeit am Vorabend der Reformation passen. Nur 15 Jahre nach der Fertigstellung dieser Glasfenster hat Martin Luther seine Thesen veröffentlicht, in denen er sich unter anderem gegen Ablasshandel und das vermeintliche Erkaufen des Himmels wandte. Für die Eichstätter ist und bleibt die Schutzmantelmadonna eine Versinnbildlichung der Sehnsucht nach Geborgenheit und dem Aufgenommen sein in der göttlichen Nähe. Nicht zuletzt aus diesem Grund findet man das populäre Motiv auf zahlreichen Sterbebildchen von Eichstätter Gläubigen. (pde)

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