Nein, sie hatten es nicht leicht, die ersten „echten“ Tierärzte. Denn seit Jahrhunderten vertraute man die Heilung kranker Tiere den Badern, Scharfrichtern, Abdeckern, Schmieden und Hirten an. Und wenn man es sich leisten konnte, dann kümmerte sich ein Stallmeister um die Pferde. Aber das Vertrauen in so einen „Gschtudierten“ war anfangs nicht weit verbreitet – auch nicht in Ingolstadt. Obwohl hier die Geschichte der gelehrten Tiermedizin begonnen hat.
1781 wurde an der Ingolstädter Landesuniversität der erste Lehrstuhl für Tiermedizin in Bayern eingerichtet – ein idealer Anlass für das Bauerngerätemuseum in Hundszell, sich sich mit der Geschichte der Tiermedizin zu befassen: „Auch wenn die eigentliche schulische Einrichtung, die Thier-Arzney-Schule, von vornherein in München angesiedelt wurde, hat man es in den Kreisen der Veterinäre zunächst nicht vergessen, dass die ersten Vorlesungen in Ingolstadt zu hören waren. Vor allem hat man nicht vergessen, dass der Vater der bayerischen Veterinärmedizin Anton Will hieß und an der hiesigen Landesuniversität beim großen von Leveling seine Ausbildung genoss,“ erklärte Dr. Maximilian Böhm, Leiter des Bauerngerätemuseums bei der Ausstellungseröffnung. Unter dem Titel „Ins Maul geschaut – Episoden der Tiermedizin in Bayern“ können sich Besucherinnen und Besucher über eben diese „Emanzipation“ der Tiermedizin und deren Bedeutung gerade auf dem Feld der Seuchenbekämpfung informieren. Zu Objekten aus der eigenen Sammlung und dem Stadtmuseum Ingolstadt hat die Tierärztliche Fakultät der Ludiwg-Maximilians-Universität München und das Deutsche Medizinhistorische Museum Ingolstadt beeindruckende Ausstellungsstücke beigetragen.
Tollwut, Pocken und künstliche Befruchtung
Das „Lieblingsobjekt“ von Dr. Maximilian Böhm stammt aus dem Bestand des Stadtmuseums. Der sogenannte „Hubertusschlüssel“ war ein Instrument zur Behandlung von Tollwut. „Er ist tatsächlich bei einer Inventur aufgetaucht – mit dem alten Pergamentanhängerchen, dessen Schrift auf die Zeit um 1800 hindeutet,“ so der Museumsleiter. Das glühende „Hörnlein“ des Hubertusschlüssels wurde auf Bisswunden gedrückt, im diese auszubrennen. Aber als geweihter Schlüssel, der dem Besitzer vom Pfarrer übergeben wurde, hatte der Heilungsprozess auch eine spirituelle Komponente: Nach der Anwendung musste eine mehrtägige Andacht gehalten werden und das Vieh wurde mit Futter, das dem Hl. Hubertus geweiht war, versorgt.
Weiter in der Ausstellung trifft man auf „Resi“, das Kalb. Es trägt einen seltsam anmutenden „Umhang“. Dieses Segeltuch ist aus dem Bestand des Medizinhistorischen Museums und sollte das Tier an der Stelle schützen, an der sich die Pocken-Pusteln entwickelten, die dann für die Herstellung des menschlichen Pocken-Impfstoffs genutzt wurden. In der Vitrine daneben ist eine Packung mit Impfstoff-Ampullen ausgestellt, die von der Bayerischen Zentralimpfanstalt per Post an die Ärzte verschickt wurden. Kommt einem irgendwie bekannt vor…
Gleich daneben ist noch ein außergewöhnlicher Wissenstransfer ist zu bestaunen: Die Ausstellung beherbergt – umgeben von wuchtigen Apparaturen – eine gebogene Injektionskanüle aus der Medizinischen Sammlung Erlangen, die in ein dünnes Plastikröhrchen mündet. Es ermöglichte das Tiefkühlen von befruchteten Eizellen – und damit die künstliche Befruchtung beim Menschen. „Hier hat die Humanmedizin von der Tiermedizin gelernt. Das Wissen um Besamung und Befruchtung hatten die Tiermediziner schon längst. Und um die 1980er Jahre ist das auf die Humanmedizin übertragen worden,“ erklärt Prof. Dr. Marion Maria Ruisinger, Direktorin des Deutschen Medizinhistorischen Museums. Wieder was dazu gelernt! Und das ist nicht das einzige „Aha-Erlebnis“ in dieser spannenden Ausstellung. (ma)
Kurz notiert:
Ins Maul geschaut – Episoden der Tiermedizin in Bayern
bis 30.Oktober 2023
Bauerngerätemuseum Hundszell
Probststraße 13
85051 Ingolstadt
Tel.: 0841 305-1885
zentrumstadtgeschichte.ingolstadt.de/Bauerngerätemuseum/
Öffnungszeiten (April-Oktober)
Dienstag bis Freitag: 09.00 – 12.00 Uhr
Sonn- und Feiertage: 14.00 – 17.00 Uhr