Man stelle sich das heute vor. In Ingolstadt. Da wird ein Museum ins Leben gerufen und dann das: „Das Museum wurde gegründet, ohne über eine Sammlung zu verfügen. Was für eine optimistische Grundhaltung die Stadtväter damals gehabt haben müssen!“ erklärt Prof. Dr. Marion Maria Ruisinger, Leiterin des Deutschen Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt. Dieses Jahr wird dieses optimistisch gegründete Museum 50 Jahre alt. Das wird ebenso gefeiert wie die Grundsteinlegung für das Gebäude, in dem sich das Deutsche Medizinhistorische Museum befindet: Vor 300 Jahren ist der Grundstein für das sogenannte „Excercitiengebäude” gelegt worden, das heute unter dem Namen „Alte Anatomie“ bekannt ist.
Von wegen alt: Die Anatomie war zukunftsweisend
So etwas hatte es im deutschen Sprachraum bislang noch nicht gegeben: Ein Neubau für die Anatomie! Am 27. April 1723 erfolgte die Grundsteinlegung und im Jahr 1736 wurden dort – unter dem Deckengemälde von Melchior Puchner – die ersten Vorlesungen gehalten. Damit stand den Studenten der medizinischen Fakultät der Universität in Ingolstadt ein top moderner Unterrichtssaal zur Verfügung, in dem sie in die „Geheimnisse“ der menschlichen Anatomie eingewiesen wurden. Zum Gebäude, das nach Plänen des Eichstätter Hofbaudirektors Gabriel de Gabrieli errichtet wurde, gehörte (und gehört immer noch) ein Garten. Dieser war von Anfang an nicht als Ziergarten angelegt, sondern sollte als „Hortus botanicus“ mit all seinen Arzneipflanzen in die Lehre mit einbezogen werden. Bis zur Verlegung der Landesuniversität im Jahr 1800 ist dieses Ansinnen auch auf fruchtbaren Boden gefallen.
Vom Bauernhof zur beachtlichen Sammlung
Es sollte bis zum Jahr 1973 dauern, bis wieder das Thema Medizin einziehen sollte. Davor wurde das Gebäude zwischenzeitlich sogar als Bauernhof genutzt. Der Ingolstädter Stadtrat hatte 1971 den Weg für das Museum frei gemacht. Am 23. Juni 1973 wurde in dem frisch restaurierten Gebäude das „Medizinhistorische Museum Ingolstadt” eröffnet. Gründungsdirektor war Prof. Dr. Dr. Heinz Goerke, Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin an der LMU München. Er bekam den Schlüssel zum Museum vom damals frisch gewählten Oberbürgermeister Peter Schnell überreicht. 1974 erfolgte die Umbenennung in „Deutsches Medizinhistorisches Museum“.
Die prägende Person und über Jahrzehnte das Gesicht des Museums war Medizinhistorikerin und Apothekerin Prof. Dr. Dr. Christa Habrich, die von 1983 bis 2008 das Museum leitete. Danach übernahm Prof. Dr. Marion Maria Ruisinger als erste hauptamtliche Direktorin „das Ruder“. In ihre Amtszeit fällt auch der Erweiterungsbau, in dem u.a. der Sonderausstellungsraum untergebracht ist sowie die Sanierung des Gebäudes und Neustrukturierung der Dauerausstellung. Heute besitzt das DMMI eine der größten medizinhistorischen Sammlungen im deutschen Sprachraum und der Anatomiegarten ist neben seiner Funktion als Arzneipflanzengarten auch beliebtes Ausflugsziel, Erholungsraum und sogar Hochzeitslocation.
Rekordverdächtiges und Kurioses
Das Medizinhistorische Museum hat so viel Interessantes, Spannendes, Lehrreiches und Kurioses zu bieten, dass man sich für den Besuch Zeit nehmen sollte. Oder man kommt immer wieder. Neben der Dauerausstellung inkl. „Frankenstein-Kabinett“ ist die aktuelle Sonderausstellung „STEINREICH. Das Schneidhaus der Fugger in Augsburg“ ein echtes Highlight. Sie ist noch bis 17. September zu sehen.
Bayern mittendrin hat sich bei Museumsdirektorin Prof. Dr. Marion Maria Ruisinger nach den kleinen, großen und außergewöhnlichen Objekten erkundigt.
Das kleinste Ausstellungsobjekt:
Puuh, da muss ich mal mit strengem Blick durch die Dauerausstellung gehen. Vermutlich das Glasröhrchen mit Pockenimpflymphe.
Das größte Objekt:
Deutlich einfacher – die Eiserne Lunge. Oder der Seziertisch. Was zählt mehr – Maße oder Gewicht?
Das älteste und das jüngste:
Das älteste ist der Terrakotta-Torso aus etruskischer Zeit. Der ist so speziell, dass Frau Habrich erst einmal einen Labortest hat machen lassen, um das Alter zu verifizieren. Das hat aber gestimmt.
Das jüngste ist der wunderbare OP-Bohrer von Aeskulap. Den haben wir aus dem aktuellen Produktkoffer des Vertreters bekommen, der vorher im Klinikum bei den Chirurgen war.
Haben Sie ein Lieblingsobjekt, Frau Prof. Ruisinger?
EINES? Alles voll mit Lieblingsobjekten… Vielleicht das Anatomiegebäude selbst. Oder das mit Quecksilber injizierte Beinpräparat. Oder der Christus anatomicus. Oder der Blasenstein. Oder der arrogante Porzellanarzt. Oder….
Bleibt noch die eine Frage aller Fragen: Wie hat es Professor Brinkmann aus der Schwarzwaldklinik in die „Büstensammlung“ des DMMI geschafft? (Die Frage wurde an Sammlungsleiter Dr. Alois Unterkircher weiter geleitet): Heutzutage gehen wir etwas distanzierter mit solchen Gedenkbüsten um. Die Zeit der Heldenverehrung ist ja auch in der Medizingeschichte vorüber. Obwohl: Für jene Person, die sich einen Souvenirteller mit dem Porträt von Prof. Klaus Brinkmann an die Wand hängte, waren die Ärzte aus der Schwarzwaldklink wohl immer noch echte „Halbgötter in Weiß“. (ma)
Und so wird das Doppeljubiläum gefeiert:
300 Jahre Alte Anatomie
Do., 27. April, 19.00 Uhr
Anatomie – Wäscherei – Museum.
Bilder aus 300 Jahren Gebäudegeschichte
Hybrider Abendvortrag von Prof. Dr. Marion Ruisinger im Gartensaal der Alten Anatomie. Eintritt frei, keine Voranmeldung
Danach stellt Dr. Alois Unterkircher das zum Jubiläum neu eingerichtete Sammlungs-Schaufenster vor: VISION – IKONE – LOGO. Das Anatomiegebäude als Motiv.
Jubiläumswochenende 50 Jahre Museum
Sa., 24. Juni, Langer Samstag bis 24.00 Uhr
Kurzführungen, Cafébetrieb und 70er-Jahre-Disco
So., 25. Juni: Bunter Sonntag für Familien
Mitmach-Stationen, Vorlese-Ecke und Suchspiel mit Tombola
Freier Eintritt, verlängerte Öffnungszeiten und ein buntes Angebot für alle Altersklassen!
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
Anatomiestraße 18 – 20
85049 Ingolstadt
Tel.: 0841/ 305-2860
Mail: dmm@ingolstadt.de
www.dmm-ingolstadt.de