Das Filmfestival „Cine Latino“ bringt auch in diesem Jahr neue Filme über und aus Lateinamerika nach Eichstätt. Vom 9. bis zum 14. Mai sind im Filmstudio im Alten Stadttheater Spiel- und Dokumentarfilme zu sehen, die von Studierenden der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) ausgewählt wurden. Kooperationspartner sind das Filmstudio Eichstätt, das Zentralinstitut für Lateinamerikastudien und die Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät der KU. Die gezeigten Filme werfen wieder Schlaglichter auf einen vielfältigen und gegensätzlichen Kontinent. „Cine Latino“ findet bereits zum 12. Mal statt – dabei steht dieses Mal das Land Chile im Mittelpunkt.
„Das Gedächtnis ist wie ein Vorhang“, sagt der chilenische Dokumentarfilmer Patricio Guzmán, „wenn du daran rüttelst, findest du dich in einer neuen, prächtigen Welt wieder.“ Dass er sich hier beiläufig einer theatralischen Metapher bedient, ist kein Zufall, denn wie kein anderer Filmemacher hat Guzmán wohl die Erinnerungen an die Geschichte Chiles seit den 70er Jahren weltweit mitgeprägt. Sein neuer Film „Mi país imaginario – Das Land meiner Träume“, der auf dem Programm des „Cine Latino“ steht, hat vordergründig die Massenproteste im Visier, die Chile 2019 und 2020 in die globalen Medien katapultiert haben. Der Filmtitel umspielt eine Kernthese des erfahrenen Regisseurs, der sein Pariser Exil auch nach dem Ende der Diktatur als Wohn- und Arbeitssitz beibehalten hat: Ein Volk ohne Gedächtnis ist ein Volk ohne Zukunft.
Um zu erfahren, welchen Beitrag das Kino für das Verständnis Chiles heute leisten kann, hat ein studentisches Gremium dieses Jahr einen Schwerpunkt auf Chile gelegt. Die Spiel- und Dokumentarfilme bilden eine Art Seismograf der chilenischen Gegenwart und thematisieren die Visionen und Ängste, die offenen Wunden und die Vergangenheitsverwindungen der chilenischen Gesellschaft. Wenn bereits bei Guzmán die Frauenchöre von „El violador en tu camino“ tonangebend sind, so bieten auch die anderen drei Beiträge eine feminine Perspektive auf das Gestern und Heute des einzigartigen Landes im Südwesten Südamerikas.
Schon der kontroverse Eröffnungsfilm „EMA“ (2019) von Pablo Larraín behandelt ein ganz und gar nicht klassisches Rollenbild der Chilenin von heute und sondiert die Akzeptanz alternativer Lebens- und Familienmodelle bei den Zuschauern und Zuschauerinnen. Im Periodenfilm „1976“ (2022) nimmt uns die Regisseurin Manuela Martelli mit auf eine Zeitreise zu den Anfängen der Militärdiktatur und dem vergifteten Klima der Denunziationen und Drohungen, der sich die Hauptfigur Carmen auch moralisch nicht entziehen kann. Als Vorfilm ist „Mapu kutrán“ (2022) von Roberto Urzúa zu sehen, eine dronografische Meditation zum chilenischen Zeitgeist. „La nave del olvido“ (2020) ist schließlich ein weiterer Spielfilm, der den Bechdel-Test, mit dem die Bedeutung weiblicher Figuren auf der Leinwand geprüft wird, mit Bravour besteht. Hier geht es um eine unwahrscheinliche Freundschaft Plus, die sich zwischen zwei wesensverschiedenen Chileninnen einstellt.
Doch es sind auch diesmal nicht nur Bilder zu Chile, die in das Filmstudio Eichstätt locken. „Utama“ (2022) führt die Zuschauer in die dürren Regionen des bolivianischen Altiplano, „Mein gestohlenes Land“ (2022) nach Ecuador und seine begehrten Rohstoffgebiete. Zum Abschluss wird ein kolumbianisches Highlight zu sehen sein: Der neueste Film von Marta Rodríguez, der Grande Dame des kolumbianischen cinema engagé, bietet in „Un amor eficaz“ (2022) einen fiktiven, posthumen Dialog der Regisseurin mit Camilo Torres Restrepo, einem katholischen Priester und Verfechter der Befreiungstheologie, der 1966 dem kolumbianischen Bürgerkrieg zum Opfer fiel. Bei der Vorführung ist Daniel Bejarano zu Gast. Als erfahrener und leiderprobter Leiter von Ojo al Sancocho, einem Festival für kommunales und alternatives Kino, das 2008 in dem von vielen Bürgerkriegsgeflohenen bewohnten Viertel Ciudad Bolivar in Bogotá gegründet wurde, weiß er um die gemeinschaftsstiftende Bedeutung des Kinos bestens Bescheid.
Weitere Informationen zum Programm von „Cine Latino“ unter www.kino-eichstaett.de